Nachdem sie den Beschlussvorschlag der Verwaltung, die aktuell bestehende Tempo-10-Zone, die sich über die Innenstadt erstreckt, in eine Tempo-20-Zone umzuwandeln, bereits im Ausschuss unterstützt hat, hat eine konservative Mehrheit aus Bürgermeister, CDUund UWG nun auch im Rat geschlossen für dessen Annahme gestimmt.
Vorausgegangen war eine Verkehrsbeobachtung in diesem Bereich, die auf den gemeinsamen Antrag der SPD und der Grünen durchgeführt wurde.
Die Ergebnisse der Messungen zeigten, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur von den wenigsten Verkehrsteilnehmenden eingehalten wurde. Abgesehen von ein paar Ausreißern nach oben, wurden in der Innenstadt im Schnitt 17 Stundenkilometer gefahren. Damit wurden wir in unserer subjektiven Wahrnehmung bestätigt: In der Innenstadt wird zu oft zu schnell gefahren.
Bevor die Innenstadt zu einer Tempo-10-Zone wurde, war sie bekanntermaßen ein Verkehrsberuhigter Bereich, in dem nur Schrittgeschwindigkeit gefahren werden durfte. Und nicht nur das! Die Fussgänger:innen hatten immer Vorrang, durften aber den anderen Verkehr nicht behindern. Die Autofahrer:innen waren gezwungen aufzupassen.
Dann stellte sich jedoch heraus, dass in einem solchen Bereich keine Knöllchen fürs Falschparken ausgestellt werden dürfen. Im Amtsdeutsch spricht man übrigens von der „Parkraumbewirtschaftung“.
Für die in der Innenstadt ansässigen Einzelhändler:innen, hier repräsentiert von der IGEV (Interessengemeinschaft Einkaufsstadt Versmold), stellen neben der möglichst ungehinderten Erreichbarkeit mit dem Auto die Parkplätzen vor ihren Geschäften einen unverzichtbaren Standortfaktor dar.
Schon bei der Diskussion über die Neugestaltung der Innenstadt im Rahmen des ISEK (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) verteidigte vor allem die CDU jeden einzelnen Parkplatz bis aufs Blut. Jeder Stellplatz, der für einen Baum oder ein paar Zentimeter mehr Gehwegbreite geopfert werden sollte – so unser Eindruck – bedeute einen weiteren Sargnagel für den ohnehin schon gebeutelten lokalen Einzelhandel.
Die CDU-Fraktion bewertete jede geplante bauliche Veränderung danach, welche Auswirkung sie auf die Anzahl der Stellplätze gehabt hätte. Das Ziel der Konservativen lag dabei stets auf deren Erhalt.
Wie willfährig man die Bedürfnisse des Handels nachzukommen bereit war, zeigte sich bereits sehr eindrucksvoll, als die Verwaltung die im Rat beschlossenen und somit rechtskräftigen Bebauungspläne nachträglich und ohne weiteren politischen Beschluss entsprechend der Wünsche der Kaufmannschaft veränderte.
Auch hier fielen der Sucht nach Parkraum sowie den mangelnden Fahrkünsten einiger Autofahrer:innen wieder Bäume zum Opfer.
Die Empörung über den „Fehler“ der Verwaltung hielt sich bei der bürgerlichen Mehrheit im Rat deutlich in Grenzen. Und sie erwies sich erneut als williger Erfüllungsgehilfe, indem sie die eigenmächtigen Veränderungen nachträglich durchwinkte.
Wenn es also nun schon zu wenig Parkraum gibt, dann muss dieser auch benutzt werden. Aber von vielen Leuten. Die Flächen müssen frequentiert werden. Dem steht der gemeine Dauerparker im Wege. Also muss der Parkraum überwacht werden! Knöllchen sollten den Par(k)asiten Einhalt gebieten und die Parkplätze für die zahlende Kundschaft freihalten.
Auch damals war es dieselbe Verwaltung, unter demselben Bürgermeister, die mithilfe derselben bürgerlichen Mehrheit aus CDU, FDP und UWG aus dem Verkehrsberuhigten Bereich eine Tempo-10-Zone machte.
Inzwischen hat man allerdings festgestellt, dass es keine Tempo-10-Zonen geben darf. Die Straßenverkehrsordnung sieht sie schlichtweg nicht vor. Der Kreis Gütersloh duldet sie in unserem Falle nur. Er macht aber auch keine Anstalten, aktiv etwas dagegen zu unternehmen.
Darüber hinaus ist es eher unwahrscheinlich, dass in einer Tempo-10-Zone eine Parkraumbewirtschaftung stattfinden darf. Unklar auch, ob ein Knöllchen, dass in den letzten sieben Jahren verteilt wurde, vor Gericht Bestand haben würde. Also im Grunde waren wir vor der gleichen Ausgangssituation konfrontiert, die als Argument den Befürworter:innen von CDU, FDP, UWG und IGEV der Abschaffung des Verkehrsberuhigten Bereichs gedient hatte.
Die Schlüsse, die die Rats-Fraktionen aus den Ergebnissen der Verkehrszählung gezogen haben, könnten unterschiedlicher nicht sein!
Für die bürgerliche Mehrheit hat die Parkraumbewirtschaftung oberste Priorität! Um hier Rechtssicherheit zu schaffen, nehmen sie die Verdoppelung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit achselzuckend in Kauf. Die CDU-Fraktion ist sich nicht einmal zu schade zu behaupten, dass es überhaupt nicht möglich sei mit dem Auto oder dem Fahrrad Schrittgeschwindigkeit zu fahren! Eine vorsätzliche Unwahrheit!
Für das progressive Lager aus SPD und Grünen steht hingegen die Verbesserung Aufenthaltsqualität sowie die Steigerung der Verkehrssicherheit in der Innenstadt an oberster Stelle.
Dies zeigte sich schon bei der Diskussion über das ISEK. Wir stellten Anträge, um ambitionierte Veränderungen der Verkehrsführung in der Innenstadt herbeizuführen. Wir wollten dem Auto den Raum nehmen und ihn den Fußgänger:innen geben. Wir waren begeistert von dem ISEK-Konzept des „Kirschblütenbandes“. Jedoch wurden wir stets niedergestimmt.
Die Innenstadt in der jetzigen Form schöpft bei weitem nicht das Potential aus, das sie anfangs noch hatte. Die bürgerliche Mehrheit hat dafür gesorgt, dass von dem vielversprechenden „Kirschblütenband“ nicht viel mehr als neue Pflastersteine geblieben ist. Um das Auto in der Innenstadt zu halten vernachlässigte man die schwächsten Verkehrsteilnehmer:innen und nahm massive Einschnitte bei der Klimaresilienz billigend in Kauf.
Bei der Umgestaltung der Innenstadt haben wir auf die Herstellung weitestgehender Barrierefreiheit geachtet. So verschwimmt an vielen Stellen der Übergang von Fahrbahn zu Gehweg. In Verkehrsberuhigten Bereichen ist dies weniger ein Problem, als in einer Tempo-20-Zone. Der jetzige Beschluss macht unserer Meinung nach Maßnahmen zum Schutz von Fußgänger:innen zwingend erfolderlich.
Wir sind davon überzeugt, dass es zu kurz gedacht ist, wenn man sich bei der Frage über die Zukunft des stationären Einzelhandels allein auf die Anzahl und Lage von Parkplätzen fokussiert. Die Erreichbarkeit von Geschäften sowie die Verfügbarkeit von Stellplätzen ist sicherlich wichtig, aber mitnichten das ultimative Kriterium für eine wachsende Zahl von Kund:innen.
Und anstatt dass die Leute zu Fuß im Schatten der Kirschbäume an den Läden vorbeischlendern und sich vielleicht von den Schaufenstern hineinlocken lassen, schauen die Ladenbesitzer:innen nun von der anderen Seite zu, wie ihre werte Kundschaft in beiden Richtungen im Auto an ihnen vorbeifährt. Bald sogar in doppelter Geschwindigkeit. Das ist an Tragik kaum zu überbieten.
So viel ist sicher: Solange in einer Spielstraße keine Parkraumbewirtschaftung möglich ist, wird sie bei einer bürgerlichen Mehrheit im Rat nicht kommen!
Auf der Ratssitzung teilte der Bürgermeister mit, dass entgegen dem allgemeinen Eindruck eine Parkraumbewirtschaftung durchaus durchgeführt wurde. So seien in einem Quartal insgesamt 63 Buß-, Ordnungs- und Verwarngelder verhängt worden. Allerdings sei es – so der Bürgermeister fadenscheinig – nicht möglich zu ermitteln, wie hoch daran der Anteil der Parkverstöße war. Dies würde bedeuten, dass pro Tag lediglich 0,7 Knöllchen verteilt wurden. In anderen Quartalen sogar weniger. Konsequentes Vorgehen gegen Falsch- und Dauerparker sieht auf jeden Fall anders aus!
Zu befürchten ist, dass die komplette Wahrheit den Fetisch Parkraumbewirtschaftung als blanke Chimäre entlarven würde. Dass die CDU an etwas festhält, was es in den letzten Monaten oder gar Jahren de facto überhaupt nicht gegeben hat, ist irrwitzig. Dennoch hat sie diesem toten Pferd neues Leben eingehaucht: Ab sofort soll verstärkt kontrolliert werden. Die Parkraumbewirtschaftung war bis jetzt also im besten Falle nicht mehr als ein Placebo. Eines das so gut funktionierte, dass Dauerparker im Grunde nie als Problem in der politischen Debatte wahrgenommen wurden. Und gemessen an der verschwindend niedrigen Zahl von auf Amaturenbrettern ausgelegten Parkscheiben in der Innenstadt, haben es im Grunde die meisten doch schon geahnt.
Die sozialdemokratische Fraktion unterstützte den Antrag der Grünen auf Einrichtung eines Verkehrsberuhigten Bereichs und weiterer Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in der Innenstadt. Auch wenn nun ein anderer Beschluss gefasst wurde, werden wir weiter nach Wegen und Mitteln suchen, zumindest wieder eine Spielstraße zu bekommen.