»Die Last von oben ist erdrückend«

Bürgermeister Thorsten Klute

Versmold (WB). Die erste Steuererhöhung seit sechs Jahren – und doch droht der Stadt im laufenden Haushaltsjahr ein Defizit von 2,6 Millionen Euro. Über die Gründe für die Finanznot, deren Folgen und weitere Auswirkungen auf die Versmolder sprach WB-Redakteur Oliver Horst mit Bürgermeister Thorsten Klute.

Erstmals seit 2005 erhöht die Stadt die Steuern. In den vergangenen Wochen und Monaten machte mit Blick auf die Zukunft auch immer wieder der Begriff der Haushaltssicherung die Runde. Pfeift Versmold finanziell auf dem letzten Loch?

Thorsten Klute: »Nicht mehr und nicht weniger als fast jede andere Stadt. Wir erleben seit Jahren, dass den Städten und Gemeinden mehr Aufgaben und Kosten übertragen werden, ohne dass sie dafür eine ausreichende Finanzausstattung erhalten. Vor Ort spiegelt sich das besonders in der Kreisumlage wider. 2001 haben wir noch 7,72 Millionen Euro gezahlt. In diesem Jahr werden es 11,07 Millionen Euro sein. Das ist ein Anstieg von 43 Prozent. Wir machen dem Kreis keinen Vorwurf. Er muss das Geld einkassieren um die den Kommunen übertragenen Aufgaben wie Jugendhilfe, Grundsicherung im Alter oder Eingliederungshilfe für Behinderte zu leisten. Das sind alles wichtige Aufgaben, die von den Kommunen finanziert werden. Die Anstieg der Kreisumlage um rund drei Millionen Euro im Jahr ist aber das Geld, das uns fehlt.«

Was bedeutet die finanzielle Situation für die Bürger? Wird es Einschnitte geben?

Thorsten Klute: »Wir haben vor anderthalb Jahren einmal aufgelistet, wie viel Geld wir einsparen könnten, wenn wir vom Theater über Vereinszuschüsse bis zum Parkbad alle freiwilligen Leistungen einstellen würden. Das wären insgesamt 1,35 Millionen Euro im Jahr. Dann hätten wir aber eine Stadt, in der vermutlich niemand mehr leben wollte. Die Belastungen, die uns immer wieder aufgedrückt werden, machen ein Vielfaches aus. Vor diesem Hintergrund sieht man auch keinen Sinn für einen wirklichen Sparhaushalt, da man gegen die Belastungen von oben gar nicht mehr anarbeiten kann.«

Müssen sich die Versmolder auf weitere Steuer- und Abgabenerhöhungen einstellen?

Thorsten Klute: »Ich halte das für eine Frage der Ehrlichkeit. Wir schieben in Deutschland einen enormen Investitionsstau insbesondere bei Straßen und Gebäuden vor uns her. Wer diese Infrastruktur erhalten will, muss ehrlich sein und sagen, dass dies über Steuern finanziert wird. Vor diesem Hintergrund über Steuersenkungen zu sprechen, ist unehrlich. Was für den Bund gilt, gilt auch für Versmold. Wir haben noch nicht den Überblick über das Jahr 2012. Ob es zu weiteren Maßnahmen kommen muss, hängt von vielen Vorgaben ab, die uns treffen oder auch nicht.«

Wird die Stadt nicht auch gerade bei größeren Projekten wie der für kommendes Jahr ins Auge gefassten Freibadsanierung kürzer treten müssen?

Thorsten Klute: »So weit sind wir noch nicht. Wir müssen erst einmal ermitteln, wie viel Geld für eine Sanierung notwendig ist. Wenn wir das Freibad langfristig erhalten wollen, müssen wir auf jeden Fall etwas tun. Für eine Sponsorenlösung wie etwa bei der Sparkassen-Arena bin ich offen. Bei der Sporthalle fahren wir sehr gut damit und haben das Geld vor Ort halten können.«

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Versmold ist vor dem Hintergrund der Gewerbesteuererhöhungen ins Blickfeld gerückt, insbesondere angesichts von Nachbarstädten wie Dissen, die mit deutlich günstigeren Steuersätzen locken. Hat Versmold in diesem Wettstreit überhaupt noch Chancen?

Thorsten Klute: »Wir haben sehr günstige Grundstückspreise, sowohl bei Gewerbe- als auch bei Wohnbaugrundstücken. Bei der Gewerbesteuer ist der Hebesatz um acht Punkte gestiegen. Auch mich erfreut das nicht. Es ist aber nicht der entscheidende Ausschlag. Wir haben eine sehr gute Verkehrsanbindung und Infrastruktur zu bieten. Hinzu kommen gut ausgebildete Arbeitskräfte, insbesondere im Lebensmittelbereich, aber auch in anderen Branchen. Wenn ich betrachte, wie viele Dissener in Versmold arbeiten und anders herum, sehe ich eher eine regionale Standortgemeinschaft, die sich gut ergänzt.«

Bei den Steuererhöhungen haben die Pläne der Landesregierung zum Gemeindefinanzierungsgesetz eine entscheidende Rolle gespielt. Sie sind Mitglied im SPD-Landesvorstand, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat einen Besuch Versmolds angekündigt. Sehen Sie Chancen, in Düsseldorf Gehör für die Probleme kleinerer Kommunen in Grenzregionen zu finden und dass es zu durchgreifenden Änderungen kommt?

Thorsten Klute: »Ich weiß, dass es dieses Gehör gibt. Noch am vergangenen Freitag habe ich mit Innenminister Ralf Jäger darüber sprechen können. Das Land ist aber auch in einem Dilemma. Seit mehr als zehn Jahren waren die so genannten Grunddaten für den Finanzausgleich nicht mehr angepasst worden. Dabei haben sich diese durch die große Arbeitsmarktreform im Jahr 2005 grundlegend geändert. Den Städten sind neue Lasten aufgebürdet worden. Das Land musste die Vorgaben jetzt anpassen, wenn es nicht weitere Prozesse verlieren wollte. In der Neuordnung der kommunalen Finanzen müssen einerseits auch spezielle Punkte Eingang finden, die kleinere Städte stärker belasten als die großen. Andererseits sagen Gutachter, der Ausgleich müsste aber noch viel stärker zugunsten der Großstädte gestaltet werden. Doch die vollständige Reform ist erst möglich, wenn der Bund für die vielen Aufgaben, die er den Städten auferlegt, eine bessere Finanzausstattung zur Verfügung stellt.«

Parteiübergreifend wird für den Etat 2012 die Einführung eines Bürgerhaushalts befürwortet, bei dem sich die Versmolder selbst mit Anregungen und Abstimmungen einbringen können. Was kann ein solches Modell bringen?

Thorsten Klute: »Ich bin sehr dafür, die Bürger einzubinden. Es können interessante Anregungen kommen, die wir so gar nicht im Blick haben. Zudem kann es für die Bürger aber auch den Erkenntnisgewinn geben, welche Möglichkeiten noch im Haushalt sind und welche eben nicht. Es ist es auf jeden Fall wert, den Bürgerhaushalt einmal auszuprobieren.«

Quelle: Artikel aus dem Westfalen Blatt vom 22.03.2011